Älter werden war nie mein Freund

Von Felix Schneuwly

Die grösste Krise hatte ich, als ich 20 wurde. Jetzt ist Schluss mit Übermut und Eskapaden, nur noch Vernunft und funktionieren; meine Zukunftsaussichten konnte ich mir nur als Horror vorstellen, ein Apfel, der entweder kühl gelagert wird oder verfault.

So schlimm sollte es nicht werden. Ganz im Gegenteil; das Funktionieren fing an, mir immer mehr zu gefallen. Und Provokationen hatten auch im Reifeprozess sehr wohl noch Platz. Nach der Lehre zum Sanitär-Installateur, das Studium, dann über ein Jahr Hochzeitsreise, Berufseinstieg, Familie, Haus. Ein paar Mal bescherte mir mein Übermut einen Karriereknick, aber stets auch das gute Gefühl am Morgen beim Blick in den Spiegel.

Ein Horrorgedanke plagt mich ab und zu in Träumen: Ich begegne dem, der ich mit 18 war und als erstes Büchlein Kafkas «Brief an den Vater» gelesen hatte und nun Hesses «Steppenwolf» las. «Was ist bloss aus dir geworden,» fragt er mich mit Entsetzen im Gesicht. «Karriere, drei Kinder, ein Haus und immer noch mit der selben Frau zusammen, mit der du um die Welt gezogen bist? Du elender Spiesser? Und sag mir jetzt nicht, dass du glücklich bist!» Doch ich bin glücklich. Und ich bin sehr glücklich, diese die Zeit um die 20 mit dieser Suche nach immer noch mehr Intensität hinter mir zu haben, nicht mehr suchen zu müssen, um zu geniessen.

Und jetzt kommt das Thema Pensionierung. Lange wollte ich davon nichts wissen. Es läuft ja alles prima. Warum soll ich etwas ändern? Immer mehr Freunde und Bekannte werden pensioniert, werden Grosseltern und geniessen den neuen Lebensabschnitt. OK, das kann ich auch. Grossvater werden auch? Das entscheiden eh meine Kinder. Und langsam bekomme ich Lust, wie in jungen Jahren, bevor wir Kinder bekamen, mich wieder mehr unentgeltlich zu engagieren und mit meiner Frau wieder länger zu verreisen.