Forever young

Von Reto Sorg

Der Schriftsteller Robert Walser hat ein Faible für die Jugend. Das Waghalsige, Unschuldige und Verträumte der jungen Jahre sind für lange eine verlässliche Quelle der Inspiration. Er ist Mitte fünfzig, als ihn diese Passion langsam, aber sicher verlässt. Irgendwann sei er vollkommen erschöpft gewesen, ausgebrannt wie ein alter Ofen, erklärt er einem Weggefährten im Rückblick. Und in der Anstalt, wo er dann lebt, kann auf Dauer keiner Schriftsteller sein, dieses Geschäft blühe allein in der Freiheit.

Man kann Robert Walsers Werk als großes Selbstporträt lesen, als egozentrische, aber uneitle Darstellung des Künstlers als ewig junger Mann, der allein sich und seinem Schaffen verpflichtet ist und dabei niemandem, außer den Ahnen – Jean Paul, Stendhal, Dostojewski – etwas schuldet. Im Verbund mit seinen Figuren – die erst Simon Tanner, Joseph Marti oder Jakob von Gunten, später einfach ›Ich‹ heißen – verkörpert Walser den Inbegriff eines ungebundenen, auf sich gestellten Menschen.

Das poetische Prinzip, das Robert Walsers Werk durchwirkt, erinnert an eine ›machine célibataire‹, eine Vorstellung, die Marcel Duchamp ab 1913 entwickelt, als er das eigene künstlerische Schaffen zu ergründen sucht. Der Surrealist Michel Carrouges, später der Ausstellungsmacher Harald Szeemann greifen den schillernden Begriff auf, und die ›Junggesellenmaschinen‹ stehen fortan für Werke (etwa von Edgar Allan Poe, Franz Kafka, Alfred Jarry oder Raymond Roussel), die von einem erotischen Begehren getragen sind, das jede feste Bindung verweigert und sich in ›sinnloser‹ Produktivität erschöpft.

Das rebellisch Asoziale dieser Weigerung, zu funktionieren und sich staatstragend zu reproduzieren, ist auch die Sache Robert Walsers, der sich rücksichtslos der Kunst verschreibt. Seine ebenso gutmütigen wie heimatlosen Figuren streifen hin und her, bewahren ihre Unabhängigkeit, bringen es zu ›nichts‹ und träumen davon, eine ›kugelrunde Null‹ zu werden. Ihre große Leistung besteht darin, provokativ bescheiden und bestimmt freundlich zu sein, um am Ende das Weite zu suchen. Wenn es allerdings darauf ankommt, ihre Autonomie zu verteidigen, etwa gegenüber übergriffiger Zuwendung, sind sie um klare Antworten nicht verlegen: »Man ist immer unartig, wenn man die Wahrheit sagt.«

Heute rennt Robert Walser mit seiner antiautoritären Spitze, seinem Sprachwitz und seiner Komik bei jungen Menschen in Baku, Berlin oder Brooklyn offene Türen ein. Und auch in Bern kann er, dieser Meister der Subversion, landen, nämlich im Kreis der Freiwilligen des Robert Walser-Zentrums. Auf ereignisreiche Leben und eindrückliche Karrieren zurückblickend, erweist sich die Begegnung mit Robert Walsers juvenil geprägtem Werk für die Gruppe – ganz offensichtlich – als ein veritabler Jungbrunnen.

Wer Robert Walsers Werk noch nicht kennt oder erneut darin eintauchen möchte, vertiefe sich in dessen Buch Poetenleben, jüngst erschienen in der Berner Ausgabe, neu kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Kerstin von Schwerin und Peter Utz.