Die Kunst als Katalysator

Von Rose Ehemann

Die Zeit, die ich als Kunsttherapeutin im Studium - mit eigenen traumatischen Erfahrungen in der Biografie - im Living Museum New York verbringen durfte, hat mein Leben zum Positiven verändert. Die transformatorische Kraft der Kunst hat an diesem Ort meine seelischen Wunden geheilt. Endlich hatte ich mit dieser tiefgreifenden Erfahrung und meiner Begeisterung für die Living Museum-Philosophie meine Bestimmung in dieser Welt gefunden.  

Nach Europa kehrte ich zurück mit der Vision, selbst ein Living Museum aufzubauen. Dies gelang in Wil dank der beiden Institutionen Psychiatrie St. Gallen Nord und Stiftung Heimstätten Wil. Mit Unterstützung von Dr. Nicole Ottiger und dem ganzen Team des Living Museum Wil konnte eine International Living Museum Academy etabliert werden, die das How to Living Museen lebendig vermittelt.  

Die ehemalige Auszubildende und Psychologin Magdalena Steinemann gab dann den Impuls, zusammen mit dem Tagesstätten-Leiter Daniel Schwarz einen Living Museum Verein zu gründen, um anderen Living Museen in der Schweiz und Europa beim Aufbau zu helfen. Die Intention war die Lösung eines grossen gesellschaftlichen Problems: die Bemühungen, Menschen mit schweren Langzeiterkrankungen sinnhaft in die Gesellschaft zu inkludieren, sind weltweit mehrheitlich gescheitert. Es gibt zu wenige Anschlusslösungen nach stationären Aufenthalten, z.B. Arbeitsplätze, die ihren Fähigkeiten entsprechen. Die Entstehung des Drehtürsyndroms, also wiederkehrende stationäre Aufenthalte in einer Klinik, ist darauf zurückzuführen.  

Vor 35 Jahren fand THE LIVING MUSEUM in New York ein erfolgreiches Modell, um das Problem anzugehen. Das Living Museum ist ein Ort der Wärme, in welchem Betroffene in einer familienähnlichen Community Kunst schaffen und ausstellen. An diesem Ort werden sie akzeptiert und wertgeschätzt. Aufgrund der psychischen Grenzerfahrungen, die Betroffene erleben, haben sie ein enormes Potential und ungenutzte kreative Energien für die Schaffung von Kunst, wenn sie die Möglichkeit bekommen, sich im Living Museum zu entfalten und eine künstlerische Ausbildung zu erhalten.  

Ziel ist die Identitätsveränderung vom Menschen mit psychischen Erkrankungen zur Künstlerin bzw. zum Künstler. Kunst dient als Katalysator, der nicht nur das Individuum verändert, sondern auch den Raum, die Community und letztendlich die Gesellschaft und Welt insgesamt beeinflusst. Dank der stabilisierenden Effekte, die das Living Museum erwiesenermassen auf die Betroffenen hat, können vielfach weitere stationäre Aufenthalte verhindert bzw. stark reduziert werden, was Kosten im Gesundheitswesen senken hilft.  

Was auch zur Kostensenkung beiträgt, ist der niedrige Stellenschlüssel. Ein bis zwei angestellte Personen können bis zu 150 Menschen mit psychischen Erkrankungen betreuen. Das ist möglich, weil die Betroffenen selbst im grossen Masse mitwirken: sie eignen sich diesen Ort in gewisser Weise an, unterstützen sich gegenseitig und lernen voneinander, was ihnen in Wechselwirkung Recovery ermöglicht. Bei dem gravierenden Fachpersonen-Mangel in der Psychiatrie, der sich künftig noch verstärken wird, bietet das Living Museum eine Möglichkeit, dieses Problem abzufedern.  

Aktuell sind wir beim Aufbau der Living Museen in Zürich, Solothurn, Schaffhausen, Liechtensteig und Biasca/Tessin. Und wir sind beim weiteren Rollout dankbar für die Unterstützung des grossen Innovage-Netzwerkes. Und für alle weiteren Hilfen rundherum.