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Liebe Menschen, wir müssen reden.

Von Regula Späni

Kennen Sie das? Sie sind in einer Bar, an einem Anlass, auf einer Party und tauschen sich aus - vermeintlich. Denn Ihr Gegenüber spricht atemlos. Über sich, seinen Beruf, sein Haus, sein Auto, seinen Hund und was in Politik und Gesellschaft alles schiefläuft. Alle Ihre Bemühungen, aus diesem Monolog einen Dialog zu machen, laufen ins Leere, weil das Gegenüber auch nicht ansatzweise auf Sie und Ihre Worte eingeht. Sie stellen Fragen, hören zu, versuchen Ihre Meinung darzulegen, ein Gespräch auf Augenhöhe mit unterschiedlichen Sichtweisen spannend und bereichernd zu gestalten, bleiben jedoch chancenlos. Dieses Phänomen hielt der 2012 verstorbene amerikanische Bestseller-Autor Stephen R. Covey schon vor Jahrzehnten treffend fest: «Die meisten Menschen hören nicht zu, um zu verstehen, sondern um zu antworten.»

Mir scheint, diese Art der Gesprächsführung hat sich in den letzten Jahren der Hektik, 
der Selbstdarstellung, des Dranges sichtbar zu sein, stark akzentuiert. 

Die eigene Meinung überwiegt, das Gegenüber wird stetig unterbrochen und im Rausche des eigenen Ichs gar nicht erst wahrgenommen. Viele, gerade ältere Menschen, bekunden Mühe mit der Spaltung der Gesellschaft, dem Zerfall gewisser Werte und der zunehmenden Respektlosigkeit im Miteinander. «Es wäre viel gewonnen, wenn der Empfänger – bevor er seinen «eigenen Senf» dazu gibt – zunächst einmal in der Lage wäre, sich präzise in die Welt des anderen einzufühlen und diese Welt gleichsam mit dessen Augen zu sehen.» Dieses Zitat des bekannten deutschen Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun bringt es auf den Punkt. Wir sprechen von politischen Positionen, die sich immer weiter voneinander entfernen, von Generationen, die sich nicht verstehen. Von «Alten», die sich als unflexibel erwiesen und «in Zeiten des Wandels Mauern statt Windmühle bauten» (Chinesisches Sprichwort) und von «verweichlichten Jungen», die zu beissen nicht mehr in der Lage seien. Generationen, die in herausfordernden Zeiten immer mehr auseinanderdriften, statt aufeinander zuzugehen. Klimawandel, Digitalisierung, Migration, Genderthemen, Künstliche Intelligenz, Sicherheit: Es gibt viele wichtige und für die kommende Generation schwerwiegende Probleme, die es zu lösen gilt, gemeinsam. Wir Älteren mit unserer (Lebens-)Erfahrung, unserem Wissen, die Jungen mit ihren Ideen, ihrer Energie und ihrer Unbeschwertheit. Aber reden reicht nicht. Wir müssen auch wieder vermehrt zuhören, aktiv, ohne zu unterbrechen. Auf unsere Gesprächspartnerinnen und -partner eingehen, ohne unsere Meinung aufzudrücken. Uns Zeit nehmen und versuchen, die Argumente der Gegenseite nachzuvollziehen, zu reflektieren, ohne sie sofort als nutzlos und nichtig zu erklären. Wie schrieb schon Gottfried Keller: «Mehr zu hören als zu reden - solches lehrt uns die Natur: Sie versah uns mit zwei Ohren, doch mit einer Zunge nur.» In diesem Sinne, liebe Menschen, lasst uns reden, einfach anders. Es wird uns alle bereichern.
 

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