Generationen-Nati
Von Silvio Barandun
Alle ein bis zwei Jahre — und dieses Jahr ist eines davon — ist in der Schweiz das Wort Generationenvertrag aufgrund einer aktuellen Sozialreform in aller Munde. Alle ein bis zwei Wochen hört man hingegen besorgte Kommentare über die heutige Jugend, die nichts tauge und den ganzen Tag faul vor ihren Handys verbringe und verdumme, kein Arbeitsethos habe und ständig über Stress, oder mangelnde Fürsorge klage. Genauso wie die älteren Generationen dafür kritisiert werden, dass sie zu viel arbeiten, nie einen Tag frei nehmen, und zu starr seien, da sie alles beim Alten behalten wollen. Wie können wir erwarten, dass ein soziales Konstrukt wie der Generationenvertrag weiter funktioniert, wenn so viel Misstrauen zwischen den Generationen herrscht?
Weil gerade die Fussball-Europameisterschaft stattfindet, kann ich nicht umhin, die Schweiz mit einer Fussballmannschaft zu vergleichen. Es gibt die Stürmer: Sie lieben den Spass und den Ruhm, sie rennen schnell wie eine Gazelle, wenn sich eine aufregende Torchance bietet, aber sie müssen vom Trainer angeschrien werden, um zurückzulaufen und bei der harten Arbeit in der Verteidigung zu helfen. Das ist die Jugend. Dann gibt es das Mittelfeld: Diese Spieler arbeiten hart wie Marathonläufer, sie sind die Regisseure, die wahren Nummer 10, und sie sorgen für die Verbindung zwischen allen Teilen der Mannschaft. Das sind die Erwachsenen. Schliesslich gibt es die Verteidigung: Sie müssen taktisch klug sein, der Mannschaft Vertrauen geben und mit den anderen Spielern kommunizieren, da sie das gesamte Spielfeld im Blick haben. Das sind die Senioren.
Die Stürmer sind in der Regel echte Charaktere. Sie lieben die Show und warten, ähnlich wie ein Adler, scheinbar nichts machend, bis der richtige Moment kommt. Dafür können und werden sie kritisiert, aber ein guter Stürmer ist für eine Mannschaft unersetzlich, denn ohne Tore gewinnt man kein Spiel. Mit anderen Worten: eine Gesellschaft ohne Jugend ist eine verlorene Gesellschaft. Und das funktioniert auch umgekehrt, denn ohne Verteidigung oder Mittelfeld wird ein Team niemals ein Spiel gewinnen. Ebenso würden wir, ohne Zuversicht auf eine gute Zukunft, wie in den ärmsten Ländern der Welt leben.
Und so kommen wir zur Frage des ersten Absatzes zurück: ich denke, dass das, was den Generationenvertrag am Leben erhält, die Tatsache ist, dass die meisten Menschen trotz des immer wieder auftretenden Egoismus und der Kurzsichtigkeit immer noch verstehen, dass ihre eigene Generation nicht die einzige ist, die zählt. Jede einzelne Generation ist wichtig und hat sowohl Vorteile als auch Pflichten. Was die Dinge im Gleichgewicht hält, ist das zeitlose Prinzip der „zu kurzen Decke“, die immer einen Teil des Körpers unbedeckt lässt. Wenn jemand zu gierig wird und die Decke vom optimalen Punkt wegzieht, wo alle nur leicht unzufriedenstellend bedeckt sind, reagieren die anderen prompt, indem sie auf der anderen Seite zurückziehen.
Es ist also in einer gesunden Gesellschaft normal, dass es Spannungen zwischen den Generationen gibt. Das war schon immer so, selbst Aristoteles schrieb bereits über die faule Jugend. Ein gewisser Grad an Kritik ist tatsächlich gut, da er uns dazu bringt, uns zu verändern, zu wachsen und Fortschritte zu machen. Ich bin zuversichtlich, dass unsere Generationen-Nati trotz einigem Zerren auf allen Seiten der Decke fit ist, sich den anspruchsvollen Herausforderungen zu stellen, die in naher Zukunft auf uns warten.
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