Geht’s uns gut? oder: Uns geht’s gut!
Von Urs Koller
Perspektive I – Freude an der Gegenwart: «Ja, früher war alles besser.» Kommt Ihnen dieser Satz bekannt vor? Sind es andere, welche diese Phrase verbreiten, oder sind Sie es, die exakt jene Worte erst kürzlich aneinandergereiht haben? Einen Blick zurück: Schon der römische Philosoph Cicero verurteilte die Tugenden seiner Zeit vor rund 2000 Jahren und idealisierte die Vergangenheit. Ein Blick in die Zukunft: Aus Sicht des Jahres 2030 ist 2023 die gute alte Zeit. Hmm, wäre es denn aus dieser Perspektive nicht angezeigt, dass wir das Jetzt in vollen Zügen geniessen? Sollten wir uns nicht lieber, statt auf Social Media einen neuen Post zu platzieren, in den Bestseller «In einer dunkelblauen Stunde» von Peter Stamm vertiefen, einen Ausflug mit unseren Enkeln planen oder eine 85-jährige Frau im Pflegeheim besuchen? Auch der Schweizer Pinot Noir vom Jahrhundertsommer 2003, den wir heute öffnen, schmeckt – einmal entkorkt – in den nächsten Stunden deutlich besser, als wenn wir ihn erst in zwei, drei Tagen geniessen.
Perspektive II – 100-jährigen Studie (Uni Heidelberg & St. Gallen): Tatsächlich leben heute weltweit rund 600'000 Menschen (CH: ca. 1'600), die sich über 100 oder mehr Kerzen auf der Geburtstagstorte freuen. Ihr Kernrezept ist so einfach wie logisch: regelmässige Bewegung, gesunde Ernährung und soziale Kontakte. Und: «Wie geht es Ihnen? Mir geht’s prima. Warum? Alle anderen sind schon tot, da sollte ich nicht meckern.» So gesehen ist nicht der tatsächliche, sondern der wahrgenommene Gesundheitszustand für die Lebenszufriedenheit entscheidend. Es geht um die optimistische Grundeinstellung. Einziger Wehrmutstropfen für mich als Mann: 80 % der heute 100-Jährigen sind Frauen. Die Gründe für dieses Verdikt sind vielschichtig, doch immerhin scheinen uns Herren die Damen in Ernährung, Bewegung und sozialen Kontakten «voraus» zu sein…
Perspektive III – aus eigener Erfahrung: der Jugendchor mit 12, die Hochzeit mit 29, die Kinder ab 30, der Berufswechsel mit 53 (nach 35 Jahren im gleichen Unternehmen!) und Vorfreude auf eine faszinierende Tätigkeit als Gemeindepräsident, über 20 Jahre «freiwillige» Vorstandsarbeit im Ruderclub sowie im Serviceclub Kiwanis und generell eine grosse Dankbarkeit und Demut gegenüber dem Leben. Über allem stand und steht das Bewusstsein: Wenn ich den Menschen mit seinen Fähigkeiten und Fehlern erkenne und respektiere, seine Emotionen und seine Motivation spüre und jedem Individuum respektvoll gegenübertrete, so entwickelt sich eine vertrauensvolle Beziehung. Im beruflichen Kontext sagte schon Peter Drucker: «Culture eats strategy for breakfast.» Danke Leben für die vielen Facetten, danke für die vielfältigen Herausforderungen!
Und: Wie geht’s Ihnen?
Ich wünsche Ihnen eine grosse Portion Lebensfreude.
PS: Freuen Sie sich auch auf die verbleibenden Jahre bis zum 100. Geburtstag 😉?!
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