Die Zukunft zurückerobern: Vorstellungskraft als demokratisches Werkzeug
Von Sarah Dégallier Rochat
«Maybe with 10 gigawatts of compute, AI can figure out how to cure cancer.»
Sam Altman, OpenAI CEO, 2025
"A misaligned superintelligent AI could cause grievous harm to the world."
Sam Altman, 2024
Heute ist die Künstliche Intelligenz (KI) von einem Strom aus Versprechen und Bedrohungen begleitet. Man sagt uns, sie werde die Menschheit retten – oder sie zerstören. Diese extremen Visionen faszinieren. Sie erzeugen ein Gefühl gemeinsamer Bestimmung, Dringlichkeit oder Erlösung, aber auch das Gefühl eines unvermeidlichen Zukunftsbildes, das von der Technologie selbst bestimmt wird.
Doch die Geschichte zeigt: Technologische Entwicklung und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen sind hauptsächlich das Ergebnis menschlicher Entscheidungen – sozialer, wirtschaftlicher und politischer Art. Die Dampfmaschine führte nicht automatisch zu Kinderarbeit und 16-Stunden-Tagen: Diese entstanden durch unkontrollierte Wirtschaftsmacht und wurden erst durch gewerkschaftliche Kämpfe und demokratischen Druck überwunden.
Unsere kollektive Vorstellungskraft, also was wir als möglich, wünschenswert oder unausweichlich ansehen, prägt den Entwicklungspfad der Technologie. Diese Vorstellungskraft wiederum wird durch Erzählungen genährt – wissenschaftliche, mediale und kulturelle. Wie Marketing the Moon zeigt, beruhte die Finanzierung der Apollo-Mission auf gezielt konstruierten Erzählungen: Science-Fiction, Medienauftritte und das Image heroischer Astronauten mobilisierten die kollektive Vorstellungskraft – und damit die politische Unterstützung.
Der sogenannte «AI Hype» – die ständige Übertreibung der Fähigkeiten und des Potenzials von KI – ist daher nicht bloss ein Marketingphänomen. Wie die Forscherin Timnit Gebru und der Forscher Émile P. Torres gezeigt haben, trägt er dazu bei, eine bestimmte Weltsicht zu verbreiten: eine Vision, in der Technologie den Menschen übertreffen oder gar ersetzen soll – meist zum Vorteil weniger Akteure, die von diesem Fortschrittsversprechen profitieren. Selbst dystopische Warnungen vor «superintelligenter» KI lenken paradoxerweise von den realen, gegenwärtigen Problemen ab – der Ausbeutung von Arbeitskräften, der Konzentration von Macht und der Verdrängung menschlicher Expertise.
Die Macht von Erzählungen lässt sich aber auch nutzen, um alternative Zukünfte zu erkunden und unsere demokratische Entscheidungskraft ausüben. Die Zukunft zu imaginieren bedeutet, sich gegen Schlagzeilen wie «TikTok und KI erobern die Bildung – wozu braucht es dann noch Lehrer?» zu wehren – und stattdessen zu fragen, wie die Bildung der Zukunft aussehen soll und welche Technologien, Kompetenzen und Regulierungen notwendig sind, um diese Zukunft zu gestalten.
Das strategische Themenfeld „Humane Digitale Transformation” der Berner Fachhochschule ist ein Ort, an dem diese Vorstellungskraft gepflegt und gefördert wird – ein Ort, an dem technologische Kompetenz mit gesellschaftlicher Verantwortung zusammenkommt. Wir streben eine Gesellschaft an, in der Menschen nicht nur passive Konsument*innen digitaler Technologien sind, sondern aktiv, kritisch, selbstbestimmt und verantwortungsbewusst Gestaltende ihrer digitalen Lebenswelt. Um eine technologische Entwicklung zum Wohle aller zu gewährleisten, bedarf es einer integrativen Vision der digitalen Zukunft, die vielfältige Perspektiven einbezieht und die Auswirkungen auf alle Bevölkerungsgruppen berücksichtigt.